2001

7. ITB-Veranstaltung Berlin 2001

 

  • Großschäden im Lichte des Reiserechts – Concorde, Kaprun und die Folgen, (V) Prof. Dr. Ronald Schmid, (V) Dieter Grathwohl, (V) Prof. Dr. Armin Willingmann

(V) = Vortrag   (M) = Moderation   (P) = Podiumsteilnehmer

Alle Beiträge sind abgedruckt im DGfR Jahrbuch 2001 (Nomos Verlag 2002), S. 17 ff.

Rückblick

Von Katja Krause, Wiss. Mitarbeiterin, Universität Rostock

Unter diesem Thema stand die von der Deutschen Gesellschaft für Reiserecht im Rahmen des Begleitprogramms der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin Anfang März 2001 organisierte Veranstaltung. Zu Beginn begrüßte der Vizepräsident der DGfR Prof. Dr. Klaus Tonner (Universität Rostock) die zahlreich erschienenen Teilnehmer, zumeist Juristen, Versicherer und Praktiker aus der Tourismuswirtschaft, aber auch interessierte Messebesucher. Den Auftakt bildete der Vortrag von Prof. Dr. Roland Schmid (Rechtsanwalt in Frankfurt am Main), der diesmal nicht in seiner Eigenschaft als Präsident der DGfR auftrat, sondern über seine als Anwalt, bei den Verhandlungen der Hinterbliebenen des Concorde-Absturzes mit Air France und deren Versicherern, gemachten Erfahrungen berichtete.

Das Thema "Der Concorde-Absturz im Lichte des Reiserechts: Welche Lehren können Reiseveranstalter daraus ziehen?" machte bereits deutlich, dass die Verantwortung des Reiseveranstalters bei Katastrophen im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand. Dabei erinnerte er als Erstes daran, dass im Falle eines Flugzeugunglücks neben der Fluggesellschaft auch der Reiseveranstalter, der als Bestandteil einer Pauschalreise den Flug angeboten hat, von der Haftung als vertraglicher Luftfrachtführer erfasst wird, was nicht allen Reiseveranstaltern bewusst zu sein scheint. Bislang ist diese Haftung entsprechend dem Warschauer Abkommen bei Personenschäden begrenzt. Doch nach Inkrafttreten des neuen Montrealer Übereinkommens wird es eine Haftung ohne Höchstgrenzen geben. Darüber hinaus wies Schmid darauf hin, dass dazu ein weiterer Gerichtsstand hinzutreten wird, der des Hauptwohnsitzes des Fluggastes. Dadurch wäre es einem amerikanischen Touristen auch dann möglich, eine Klage vor einem amerikanischen Gericht zu erheben, wenn der Schadensfall während eines Fluges innerhalb Europas eintrat, sofern die Fluggesellschaft eine geschäftliche Beziehung zu den USA unterhält. Diese Voraussetzung dürfte aber bei der heutigen weltweiten Verknüpfung der Märkte fast immer erfüllt sein. Damit kommt es lt. Schmid zu einer "Amerikanisierung des Schadenersatzrechts" und es ist folglich nicht ausgeschlossen, dass den Reiseveranstalter bei solchen Katastrophen unbekannt hohe Schadenersatzzahlungen treffen können. Daher erscheint aus seiner Sicht eine Versicherung gegen diese Risiken dringend geboten, doch auch die Versicherungswirtschaft wird bei diesen Risiken an ihre Grenzen stoßen. Neben dieser finanziellen Bedrohung für das Unternehmen des Reiseveranstalters kann aber auch das Image des Unternehmens bei der Schadensabwicklung erheblichen Schaden nehmen. Wie dies durch kundenorientierte Maßnahmen vermieden werden könnte, war Gegenstand des zweiten Teils des Vortrages.

Wenn neben das Alltagsgeschäft die Betreuung der Opfer eines Großschadens tritt, dann wird es insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen nicht möglich sein letzterem die notwendige persönliche und fachliche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Doch Schmid wandte sich gegen das häufig praktizierte Vorgehen, die Schadensabwicklung ganz dem zuständigen Versicherer zu überlassen. Diese sind zwar fachlich zur Bewältigung der Folgen des Großschadens in der Lage, doch ihr Hauptanliegen ist es, "vermeidbaren" Schaden vom Versicherer abzuwenden und dies lässt sich nur schwer mit den Interessen des Reiseveranstalters nach kundenfreundlichem Verhalten vereinbaren. Besser ist es daher, die Schadensabwicklung zwar einem professionellem Unternehmen zu übertragen, selbst aber gegenüber den Kunden aktiv tätig zu werden und ihnen, soweit möglich, umfassende Hilfe zu gewähren. Schmid sprach sich dafür aus, dass die sicherlich notwendigen juristischen Ermittlungen auf ein Mindestmaß begrenzt, zwingend vorgeschriebene Abschlagszahlungen zügig ausgezahlt, durch Kulanz und Entgegenkommen die Kundennähe auch ausgeübt werden sollte und die Anwälte und Versicherer im Hintergrund arbeiten sollten. Die von ihm dazu angeführten positiven Beispiele zeigten, dass sich dieses Vorgehen des Reiseveranstalters bei der Bewältigung eines großen Schadenfalls auszahlt.

Doch die empfohlenen Maßnahmen kosten sehr viel Geld. Die Versicherung des Unternehmens deckt dabei nur die Schadens- und Rückabwicklungsansprüche ab, nicht aber eine effektive und zugleich kundenorientierte Bearbeitung des Schadensfalls - bislang. Dieter Grathwohl, Geschäftsführer der Touristik Assekuranz Service GmbH aus Frankfurt am Main, stellte mit seinem Vortrag "Ein Angebot der Versicherungswirtschaft: Krisenmanagement bei Katastrophenschäden" vor. Auch wenn Unglücke überraschend auftreten, so kann eine gute Vorbereitung auf einen derartigen Schadensfall eine rasche Abwicklung erleichtern und den Imageschaden des Unternehmens begrenzen. Ein Unternehmen kann es sich nicht leisten, die notwendigen Maßnahmen erst nach dem Eintritt des Schadens zu überlegen. Daher setzt die von Grathwohl vorgestellte Versicherungslösung schon vor dem Schadensfall an. Direkt nach dem Vertragsschluss erfolgt eine Vorab-Risikoanalyse des Unternehmens. Dadurch soll das bestehende Risiko genauer eingeschätzt werden. Dabei 

wird von Fachleuten ein individuelles Krisenhandbuch erstellt, in dem die verschiedenen Abläufe im Falle einer Katastrophe festgelegt werden. Es wird nach der individuell günstigsten Verfahrensweise gesucht, um im Krisenfall beispielsweise die Telekommunikation aufrecht zu erhalten. Damit jedem Anrufer dann ein kompetenter Gesprächspartner zur Verfügung steht, reichen die Möglichkeiten vom Notfallhandy für einige wenige Eingeweihte bis zur Zuschaltung eines Call-Centers für Angehörige der Opfer. Durch die Vorortunterstützung durch geschulte Psychologen sollen sowohl die Opfer und Angehörigen angemessen betreut werden, aber auch die Mitarbeiter des Unternehmens selbst, die bis zum Eintreffen der Fachleute, der Flut von Fragen und Vorwürfen der Anrufer ausgesetzt waren und die ersten aufgetretenen Probleme geklärt hatten.

Grathwohl unterstrich in seinem Vortrag auch die besondere Bedeutung eines Medien- oder Kommunikationsexperten, der dem Unternehmen bei dem Umgang mit der Öffentlichkeit und den Vertretern der Medien behilflich sein sollte. Außer den Rechtsberatern und Psychologen können auch Logistikspezialisten erforderlich sein, die z.B. eine Heimreise der Opfer oder die Anreise der Angehörigen an den Unglücksort organisieren. Neben den Kosten, die für diese Fachleute aufgebracht werden müssen, sind durch diese Versicherung auch die Kosten für Pressekonferenzen, Informations- und Betreuungsveranstaltungen für Angehörige und Betroffene sowie sonstige anfallende Logistik- und Regiekosten abgedeckt. Um die Versicherungsprämien aber nicht unbezahlbar werden zu lassen, sind alle diese Leistungen zeitlich begrenzt, im Regelfall auf 4-7 Tage nach dem Unglück. Selbstverständlich sind je nach Finanzstärke des Unternehmens auch andere Vereinbarungen möglich. Damit bietet dieses Konzept ein auf das jeweilige Unternehmen zugeschnittene Beratungsprogramm und Lösungsmöglichkeiten für den Krisenfall an und stellt zugleich deren Finanzierung sicher. Ob dieses Modell die optimale Lösung für das Krisenmanagement ist, muss sich in der Zukunft zeigen, aber gerade für die Tourismuswirtschaft, als einer in Bezug auf Terror, Umwelt- und Wetterkatastrophen sensiblen Branche, stellt es eine Möglichkeit der Absicherung dar.

Der dritte Vortrag von Prof. Dr. Armin Willingmann von der Hochschule Harz in Wernigerode, beschäftigte sich mit "Überlegungen zur rechtlichen Behandlung aktueller Großschäden", wobei die Suche nach den Ursachen für die bereits von Schmid geäußerte "Amerikanisierung des Schadenersatzrechts" im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand. Dabei beschränkte er sich auf zwei Aspekte: Zum einen auf die Gründe für die Attraktivität von Klagen in den USA und zum anderen auf die in Deutschland bestehenden Defizite der vorhandenen Regelungen zum Schadenersatz. Einige Besonderheiten im amerikanischen Rechtssystem lassen es für die Anwälte der Opfer oder deren Angehörige lohnenswert erscheinen, nach Möglichkeiten für die Begründung eines Gerichtsstandes in den USA zu suchen. Dort ist beispielsweise der Begriff des Schadens viel weiter zu verstehen, die enge Zuordnung von Rechtsgutträger und Geschädigtem fehlt. Ähnliches gilt für den Begriff des Immaterialschadenersatzes, wodurch auch ein Schmerzensgeld für den Verlust eines Angehörigen für die Hinterbliebenen einklagbar ist.

Hauptanreiz sind aber natürlich die hohen Schadenersatzbeträge, die mit einer in den USA nur unzureichenden Sozialversicherung und der Möglichkeit der Zuerkennung von Strafschadenersatz (sog. punitive damages) begründet werden. Die Beträge bemessen sich folglich nicht nur nach dem tatsächlich nachgewiesenen Schaden, sondern sollen zugleich Straf-, Vergeltungs- und Präventivfunktionen erfüllen. Durch die im amerikanischen Rechtssystem mögliche Vereinbarung einer erfolgsabhängigen Vergütung des Anwalts werden die geforderten Beträge zusätzlich in die Höhe getrieben. Die ersten Anzeichen einer Trendwende bezüglich der Verminderung der punitive damages in Amerika und die Probleme bei der Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidungen in Deutschland, auf die Willingmann abschließend hinwies, vermögen die Kläger kaum abzuhalten. Deren Verhalten deutete er aber auch als ein Symptom für Fehlentwicklungen im nationalen Recht. Bei der Regulierung großer Schadensfälle wird meist weniger um den Anspruch auf vollständige Wiederherstellung des Zustandes, wie er vor dem schädigenden Ereignis bestanden hatte, gestritten, sondern hauptsächlich über die Angemessenheit des Schmerzensgeldes, erklärte Willingmann unter dem Hinweis auf die jüngste Entwicklung in den Verhandlungen des ICE-Unglücks in Eschede im Sommer 1998. Hier erscheint den Angehörigen die Drohung mit der Klage in den USA ein passendes Mittel zu sein, um die Zahlungsbereitschaft der Deutschen Bahn AG zu erhöhen. Doch diese verweist darauf, dass sie sich schon mit dem von ihr bezahlten Betrag außerhalb des gesetzlich Geforderten bewege. Willingmann erläuterte, dass das deutsche Recht, im Gegensatz zu den meisten Rechtsordnungen seiner europäischen Nachbarn, nur in sehr engen Ausnahmefällen die Möglichkeit kennt, Schmerzensgeld für den Verlust eines Angehörigen zu gewähren. Andererseits würden aber bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, welches durch richterliche Rechtsfortbildung entwickelt wurde und ebenfalls auf § 847 BGB gestützt wird, mittlerweile sehr hohe Ersatzsummen zugesprochen, wie zuletzt im Fall von Caroline von Monaco. Dieser Wertungswiderspruch ist (nicht nur) den Angehörigen gegenüber schwer zu vermitteln und er sollte alsbald durch die Einführung eines allgemeinen Hinterbliebenenschmerzensgeld aufgelöst werden. Ein weiteres Problem, dass Schmerzensgeldzahlungen bislang bei Tatbeständen der Gefährdungshaftung bis auf wenige Ausnahmen nicht vorgesehen waren, wird durch den seit dem 20.02.2001 vorliegenden Referentenentwurfs eines 2. Schadenersatzänderungsgesetzes jedoch beseitigt. Abschließend versuchte der Referent, die gegen eine derartige Regelung vorgebrachten Einwände, z.B. die Probleme der Versicherbarkeit des Risikos und der Festlegung der Höhe der Ersatzansprüche zu entkräften.

In der anschließenden Diskussion hielt Frau Leffers (Rechtsanwältin in Frankfurt am Main) Schmid jedoch entgegen, dass aus ihrer Sicht auch bei den gesetzlich vorgeschriebenen Abschlagszahlungen eine gründliche Prüfung der Anspruchsberechtigung vorausgehen muss. Herr Hess (Travelsafe, Passau) wies darauf hin, dass die Versicherung des Unternehmens gegen Schadenersatzansprüche im Katastrophenfall im Gegensatz zur Insolvenzabsicherung keine Pflichtversicherung darstellt. Um den von den Referenten vorgebrachten Vorstellungen entsprechend gut versichert zu sein, müsste das Unternehmen dann schon erhebliche Versicherungsprämien zahlen, so dass gerade kleine Unternehmen eher für den Eintritt des Krisenfalls die Aufgabe ihres Unternehmens erwägen.

Frau Zedelmayer (Reisebüro-Inhaberin aus München und ehemalige ASR-Präsidentin) vertrat die Ansicht, dass die Zahlung eines Schmerzensgeldes für die Hinterbliebenen doch auch mit den bisherigen gesetzlichen Möglichkeiten gelingen müsste. Dem stimmte Willingmann zwar zu, verwies aber zugleich darauf, wie lange eine derartige Entwicklung durch die Rechtsprechung dauern würde. Mit einem Vertreter der Hinterbliebenen des Flugzeugabsturzes der Birgen Air kam Grathwohl ins Gespräch, um eventuell dessen persönliche Erfahrungen in dem von ihm zuvor vorgestellten Versicherungskonzept zu berücksichtigen.

Auf Grund einer Frage von Herrn Geßler (freier Journalist in München) stellte Schmid nochmals klar, dass es dem Kläger offen steht, welchen der verschiedenen Luftfrachtführer er als Anspruchsgegner auswählt, da alle als Gesamtschuldner haften. Entscheidend bei seiner Wahl sollte die Liquidität des Gegners und die rasche Vollstreckungsmöglichkeit sein. Abschließend stellte Prof. Führich (Kempten) noch die Frage, ob die aus Amerika bekannten punitive damages auch Eingang in das deutsche Recht finden werden, was Willingmann jedoch verneinte. Vielmehr erwartete er eine Entwicklung von Pauschalbeträgen, wie sie auch bei den europäischen Nachbarn verwendet werden. Schmid fügte noch hinzu, dass auch im Montrealer Übereinkommen keine punitive damages mehr enthalten sind, leider ist diese Passage aber etwas undeutlich formuliert, so dass die konkrete Entwicklung in dieser Frage abgewartet werden muss.