2002

8. ITB-Veranstaltung Berlin 2002

 

  • Podiumsdiskussion: "Brauchen wir mehr Rechte für Fluggäste?", (M) Klaus Hildebrandt

(V) = Vortrag   (M) = Moderation   (P) = Podiumsteilnehmer

Rückblick

Von Sandra Echtermeyer, Wiss. Mitarbeiterin, Universität Rostock

Wie jedes Jahr fand auch in diesem Jahr wieder eine von der Deutschen Gesellschaft für Reiserecht organisierte Veranstaltung im Rahmen der Internationalen Tourismus Börse (ITB) in Berlin statt. Sie wurde am 17. März in Form einer Podiumsdiskussion durchgeführt. Zum Thema: "Brauchen wir mehr Rechte für Fluggäste?" debattierten Vertreter der Reisebranche und der Verbraucherseite zum Einen über die Notwendigkeit einer Neuregelung der EU-Überbuchungsverordnung und zum Anderen über das Erfordernis einer Insolvenzversicherung für Fluggesellschaften.

Auf dem Podium saßen der Präsident des Deutschen Reiseveranstalter- und Reisebüroverbandes, Klaus Läpple, der Leiter der Konzern-Repräsentanz der Lufthansa in Brüssel, Thomas Kropp, Dr. Jakob Cornides von der Generaldirektion für Gesundheit und Verbraucherschutz der EU-Kommission sowie Prof. Dr. Tobias Brönneke von der Fachhochschule Pforzheim (vormals Justiziar der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände). Die Moderation übernahm der Chefredakteur der Zeitschrift fvw International, Klaus Hildebrandt.

In seinen Begrüßungsworten wies der Präsident der DGfR, Prof. Dr. Schmid, auf die enormen wirtschaftlichen Belastungen der Fluggesellschaften nach den Ereignissen des 11. September 2001 hin. So kämen zu den laufenden Kosten wie steigende Treibstoffpreise, Landegebühren, Abfertigungs- und Flugsicherungsgebühren auch die enorm steigenden Prämien für (Kriegs-Risiko-)Versicherungen auf sie zu. Aus Brüssel würden zudem nun noch Forderungen nach einer Neuregelung der EU-Überbuchungsverordnung und nach einer Insolvenzversicherung für Fluggesellschaften laut.

In der Diskussion wurde zunächst auf die geplante Neuregelung der Überbuchungsverordnung eingegangen. Dr. Cornides informierte näher über den Vorschlag der Kommission (zuständig sei die Generaldirektion für Verkehr und Energie) für eine neue, strengere Überbuchungsverordnung. Er berichtete, dass die Kommission bereits 1998 einen Vorschlag zur Änderung der 1991 erlassenen Überbuchungsverordnung (Verordnung (EWG) Nr. 295/91) vorgelegt habe, der jedoch vom Rat nicht angenommen wurde.

Nach Ansicht der Kommission würde die ursprüngliche wie auch die geänderte Verordnung keinen angemessenen Schutz für Fluggäste bieten, die von Nichtbeförderung oder Flugannullierung betroffen sind, da sie weder Bestimmungen enthielte, die Luftfahrt- und Reiseunternehmen davon abhielten, übermäßig häufig Fluggästen die Beförderung zu verweigern oder Flüge zu annullieren, noch Anreize dafür, ihre wirtschaftlichen Vorteile und die den Fluggästen entstehenden Kosten gegeneinander abzuwägen. Außerdem, so Cornides, würde die (bisherige) Verordnung pauschale Ausgleichsleistungen festlegen, die nicht berücksichtigte, dass Unannehmlichkeiten und Zeitverlust von Fluggästen unterschiedlich seien. So würden Geschäftsleute ihre Zeit bspw. als wertvoller ansehen und daher trotz eines großzügigen Entschädigungsangebots auf ihrer Buchung bestehen, während Andere auch nur gegen eine geringe Entschädigung von ihrer Buchung zurücktreten würden. Des Weiteren seien keine Bestimmungen enthalten, wonach Fluggäste, die lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen, ihren Flugschein stornieren oder eine Umbuchung auf andere Flüge vornehmen könnten.

Cornides machte deutlich, dass in dem vorliegenden Vorschlag u.a. höhere Entschädigungsbeträge vorgesehen seien. Die Fluggesellschaften würden verpflichtet, zunächst nach Freiwilligen zu suchen, die bereit sind, gegen einen bestimmten Ausgleich (Geld oder andere Leistungen) von ihrer Buchung zurückzutreten. Das Unternehmen und der potenzielle Freiwillige würden anschließend die Bedingungen der Abmachung aushandeln. Damit würde dem Umstand Rechnung getragen, dass Fluggäste in Kauf genommenen Ärger und Zeitverlust nach individuellen Maßstäben bewerten. Dagegen hätten Fluggäste, so Cornides weiter, denen die Beförderung gegen ihren Willen verweigert wurde, einen Anspruch auf Ausgleichsleistungen, deren Höhe von der Länge der Flugstrecke abhängt. Damit sollen Fluggäste bei Nichtbeförderung eine Entschädigungszahlung in Höhe von 750 EUR bei Flügen über eine Entfernung von weniger als 3.500 km erhalten und bei einer Entfernung von mindestens 3.500 km 1.500 EUR.

Außerdem sehe die geplante Verordnung als Mindestrechte bei Nichtbeförderung, Annullierung und Verspätung die Wahl zwischen der vollständigen Erstattung des Flugpreises und der schnellstmöglichen Weiterbeförderung zum Endziel oder der Weiterbeförderung zum Endziel zu einem späteren Zeitpunkt vor sowie Betreuungsleistungen vor Ort. Diese Rechte werden nach der bisherigen VO nur bei Nichtbeförderung gewährt. Schließlich führte Cornides an, dass die Verordnung auf Nichtlinienflüge ausgeweitet werden solle einschließlich solcher im Rahmen von Pauschalreisen.

Auf die Frage von Hildebrandt, ob es zum Schutze des Verbrauchers einer neuen Überbuchungsverordnung bedürfe, meinte Prof. Brönneke, es seien nicht nur der Verbraucher betroffen, sondern auch Geschäftsreisende. Man müsse zudem die Frage stellen, wer denn von der jetzigen Situation profitiere. Er stellte die Überlegung in den Raum, wonach man vertraglich einen differenzierenden Überbuchungsschutz und differenzierende Regelungen bei no shows vorsehen könne, die an die verschiedenen Flugticket-Arten anknüpfen. Grundsätzlich begrüßte er jedoch die neue Verordnung.

Kropp wies darauf hin, dass einige der in der Verordnung vorgesehenen Punkte bereits freiwillig praktiziert würden. So seien in der Vergangenheit Fluggäste auch schon freiwillig zurückgetreten und mit attraktiven Ersatzangeboten und Zusatzflügen entschädigt worden. Weiterhin machte Kropp deutlich, dass die Fluggesellschaften gezwungen seien, zu überbuchen. Ursache hierfür sei das so genannte "no show"-Verhalten. Regelmäßig komme es nämlich vor, dass Fluggäste nicht erscheinen, ohne ihre Flüge storniert zu haben. Deshalb müssten Fluggesellschaften bewusst mehr Buchungen annehmen, als Plätze verfügbar seien, um diese zu belegen. Eine Verfünffachung der Entschädigungsleistungen, wie sie die neue Verordnung vorsieht, sei seiner Auffassung nach überzogen.

Läpple sprach sich gegen eine Erweiterung der Verordnung auf Charterflüge und solcher im Rahmen von Pauschalreisen aus, bei denen der Reiseveranstalter gegenüber dem Reisenden als Vertragspartner haftet. Des Weiteren "beutele" der Verordnungsentwurf nach seiner Ansicht die Fluggesellschaften nach dem 11. September zu sehr. Er erklärte, dass bei 5,6 Millionen „no-shows“ Überbuchungen zwingend notwendig seien. Außerdem gingen manche Forderungen der geplanten Verordnung an der Lebenswirklichkeit vorbei. Er verwies auf Amerika, wo (so genannte) "Freiwillige", die über die Überbuchung Bescheid wissen, zurücktreten und attraktive Ersatzangebote annehmen würden. Das stelle für Studenten eine reizvolle Finanzierungsmöglichkeit für ihr Studium dar. Seiner Meinung nach dürfe das nicht sein. Läpple hielt die bisherige Verordnung für ausreichend und unterstrich, dass der Entwurf einer neuen Verordnung zum falschen Zeitpunkt käme.

Kropp sprach sich im Prinzip für eine gemeinschaftsrechtliche Regelung aus, weil nur so - im Gegensatz zu einer freiwilligen Vereinbarung der Luftfahrtunternehmen - sicherzustellen sei, dass sich Außenseiter einer Regelung nicht entziehen.

Cornides erwiderte, dass es für den Reisenden ein Unterschied sei, ob er sich auf die reine Kulanz der Fluggesellschaften verlässt oder seine Ansprüche gesetzlich festgesetzt sind. Zudem brachte er zum Ausdruck, dass der Entwurf natürlich noch geändert werden könne und somit die Fluggesellschaften ihren Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren geltend machen könnten. Cornides bestritt, dass die neue VO der von Läpple beschworenen "Studentenfinanzierungspraxis" Vorschub leisten könne. Schließlich müssten die "Spekulanten" damit leben, sich mit einem Ersatzflug abzufinden, der dorthin führt, wo sie gar nicht hinreisen möchten. Das Argument gegen eine Verfünffachung der Entschädigungsleistungen sei nach seiner Auffassung nicht angemessen, da bei erstmaliger Einführung von Entschädigungsleistungen auch nichts dagegen eingewendet wurde.

Kropp betonte, dass er nichts gegen eine Revision der ursprünglichen VO einzuwenden hätte, jedoch hielt er die geplanten Entschädigungsleistungen weiterhin für exorbitant. Vor Kurzem habe bereits in Brüssel ein Treffen mit Vertretern von Fluggesellschaften stattgefunden, bei dem über bestimmte freiwillige Regeln für Fluggesellschaften diskutiert wurde. Allerdings hätten die "low-cost"-carriers keine Unterschrift geleistet. Außerdem kritisierte Kropp die umfangreichen Subventionen für zahlreiche Luftfahrtunternehmen, die von der EU genehmigt wurden.

Brönneke wies darauf hin, dass in Deutschland der Schutz bei Flugverspätungen noch nicht ausreichend bestehe. So würden beispielsweise bei Billigpauschalreisen die Reisenden in die billigen Randzeiten der Flughäfen "abgeschoben". Er führte an, dass Gerichtsentscheidungen auf diesem Gebiet nicht befriedigend seien. Zudem sprach er sich dafür aus, die Überbuchungsquoten herabzusetzen, damit keine amerikanischen Zustände entstünden.

Ähnlich wie die Studentenpraxis bei Überbuchungen in Amerika sei laut Läpple teilweise die Reklamationspraxis in Deutschland. So würde es Reisende geben, die immer danach Ausschau hielten, in welchen Hotels wiederholt Mängel auftreten, um dorthin zu reisen und anschließend diese Mängel entsprechend geltend zu machen. Dagegen wandte Brönneke ein, dass dies unproblematisch durch eine korrekte Hotelbeschreibung oder ein Abstellen der Mängel verhindert werden könne.

Zum Abschluss des ersten Themenkreises brachte Läpple vor, dass die Betreuungsleistungen im Rahmen der geltenden Überbuchungsverordnung gut funktioniert hätten. Er kritisierte, dass Brüssel nicht tätig geworden sei, als nach den Ereignissen des 11. September die amerikanischen Airlines subventioniert wurden. Damit seien die europäischen Fluggesellschaften benachteiligt worden.

Zum zweiten Themenkreis, dem Erfordernis einer Insolvenzversicherung für Fluggesellschaften, äußerte Kropp, seiner Ansicht nach sei logische Folge einer solchen Pflicht, dass die Preise für Flugtickets steigen. Weiterhin müsse darauf geachtet werden, dass die Verpflichtung nicht dazu führe, "schwarze Schafe" zu schützen. Kropp führte zudem an, dass die Vergangenheit an den Beispielen Sabena und Swiss Air gezeigt habe, dass über die IATA Möglichkeiten geschaffen werden können, wonach bereits gekaufte Flugtickets im Wege des Interlining bei anderen Fluggesellschaften abgeflogen werden könnten, ohne dass dem Kunden ein Schaden entstehe.

Laut Cornides sind die Planungen seitens Brüssel von den aktuellen Schwierigkeiten unabhängig. Er machte aber deutlich, dass heute im Gegensatz zu früher große Airlines insolvent geworden seien. Die Situation sei deshalb im Vergleich zu Reiseveranstaltern, die auch eine Insolvenzabsicherung hätten, keine andere.

Kropp wies auf eine bereits bestehende Pflicht hin, wonach bestimmt sei, dass jährlich die wirtschaftliche Situation von Fluggesellschaften zu untersuchen ist. Bedauerlicherweise sei diese Bestimmung unterlaufen worden; sonst hätte schon im Vorfeld geklärt werden können, wer finanzielle Probleme hat.

Nach Meinung von Brönneke stelle sich auch hier die Vorauskassepraxis als Problem dar. Dies sei nun bei Pauschalreisen geregelt, indem der Reiseveranstalter für die Vorausleistungen der Reisenden für den Insolvenzfall Vorsorge treffen muss. Demnach dürfe es keine Ungleichbehandlung gegenüber Nicht-Pauschalreisen geben. Eine Ausdehnung der Insolvenzabsicherungspflicht auf Fluggesellschaften sei daher angebracht. Brönneke sprach sich für ein Versicherungsmodell aus, weil dabei in die Bücher der Fluggesellschaften geschaut werde und so differenzierte Versicherungsprämien festgesetzt werden könnten. Dieses Modell trage dazu bei, "schwarze Schafe" auszuschalten.

Läpple stimmte Kropp zu, dass die jährliche Überprüfungspflicht eingehalten werden sollte, fügte aber hinzu, dass dies bei Indizien auf eine schwache wirtschaftliche Situation häufiger geschehen müsse. Seine Aufmerksamkeit galt hauptsächlich den Reiseveranstaltern, Reisebüros und Verbrauchern. Zunächst sei das Reisebüro der Leidtragende, da der Reisende sich auf dieses verlässt. Der Reiseveranstalter, der bestimmte Kontingente hat, müsse bei Insolvenz einer Fluggesellschaft u.U. kurzfristig auf eine teurere und/oder ganz andere Beförderung ausweichen. Läpple schloss sich der Forderung nach einer Insolvenzversicherung für Fluggesellschaften an, wobei er wie Brönneke für eine individuelle Versicherungslösung plädierte. Finanziell starke Unternehmen dürften nicht die finanziell Schwachen zwangsweise unterstützen, was die Folge bei einem Fondsmodell sei.

Hildebrandt fasste zusammen, dass es zum Thema Insolvenzversicherung im Gegensatz zur Überbuchung noch keinen konkreten Entwurf der EU-Kommission gebe. Der Kommissionsvorschlag zur Überbuchung sei allerdings änderungsbedürftig, wobei zu berücksichtigen sei, dass der Schutz des Verbrauchers nicht überzogen werde und zudem ein gleicher Schutz für alle Flüge zu verwirklichen sei.